Schule
Zur Rollentheorie
In der letzten Stunde wollte ich zunächst die wissenschaftsmethodische Problematik behandeln: Dass nämlich jede Methode bereits ein Erkenntnisfenster definiert, das den Blick fokussiert und andere Fragestellungen und Erkenntnismöglichkeiten verhindert oder erschwert.
Wenn man also Gesellschaft mit Begriffen aus der Theatersprache beschreibt (Rolle usw.) hat das bestimmte Konsequenzen für das, was dann als Realität beschrieben wird.
So geht die Rollentheorie zwar irgendwie von einer einheitlichen Person, einem Subjekt, einem personalen Kern hinter der Maske aus, der in verschiedene Rollen schlüpft, interessiert sich aber schwerpunktmäßig mehr für die Rollen als für dieses "Eigentliche" der Person.
(Als historisch und gesellschaftlich denkender Mensch vertrete ich natürlich NICHT diesen ungesellschaftlichen Dualismus:Persönlichkeitskern <> Rolle/Funktion)
Neben dieser Wissenschaftskritik ging es aber auch um die Frage, ob und inwieweit die Rollentheorie wirklich die bestehende Gesellschaft richtig beschreibt (und nicht, inwieweit sie eine problematischen METHODE darstellt).
Tatsächlich scheint sie eine durchaus angemessene Theorie der bürgerlichen Gesellschaft zu sein.
Alltagserfahrungen deuten darauf hin, dass die Menschen tatsächlich die Gesellschaft als eine funktional zerlegte bis widersprüchliche erleben. ("Das ist nun mal mein Job", "Wenn ich es nicht tue, tut es ein anderer", "Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps", "den Shit rauchen wir doch nicht - wir verkaufen es nur", "Das Rauchen überlassen wir den Jungen, Schwarzen, Frauen usw.")
Die ROLLENTHEORIE ist eine ideale Ideologie, um Verantwortung auszublenden und ideologisch zu vermeiden. Sie legitimiert alles, was ist, erlaubt mir eine fast vollständige Anpassung, ohne die Idee der Identischen Persönlichkeit aufzugeben. Ich muss zwar Normen exekutieren, aber brauche nicht dahinter zu stehen. Das eine ist der öffentliche Bereich, in dem ich nach bestimmten Spielregeln funktionieren muss (z.B. "Arbeit"), aber daneben gibt es den privaten Raum meiner "Eigentlichkeit", der bleibt davon unberührt ("die Gedanken sind frei...")
Aber das Rollenschema wird ja gerade auch auf diesen privaten Bereich bezogen: Bei der Rolle der Liebhaberin zB. gehört der Orgasmus zu den Rollen- Anforderungen. Gerade hier im "intimsten" Bereich gibt es Rollenerwartungen in Hülle und Fülle- was ja ein Grund für Neurosen, Frustrationen usw. ist.
Die ROLLENTHEORIE wird als wissenschaftliche Theorie überhaupt nur sinnvoll, wenn sie ALLE Lebensbereiche erfasst bzw. für alle Bereiche Gültigkeit beansprucht (sonst wäre sie als Theorie trivial).
Sie beschreibt also, dass Menschen primär an ihrer gesellschaftlichen Funktion gemessen werden (wie bei den Schul-Noten) und nicht so genommen, anerkannt, geliebt werden, wie sie sind. Die gute Schülerin, der intelligente Sohn, der weltgewandte Ehemann, die gepflegte Hausfrau... werden gewünscht- also möglichst perfekte Rollenträger.
Entsprechend ist die ganze Pädagogik nichts anderes als eine mehr oder weniger gewalttätige Einübung in bestimmte Rollen. Die Menschen sollen das lernen und das später tun, was die Gesellschaft von ihnen verlangt.
Es kommt also nicht auf den konkreten Menschen an, seine Selbstentfaltung, seine Originalität, sondern seine Brauchbarkeit ("vorzeigbar").
Er soll nicht seine Umwelt gestalten, sein Leben leben, nicht fragen, wie er eigentlich leben will, sondern übernehmen, wie er leben soll. ("Es stört hier, passt nicht hierher ..")
Gerade nicht die Vielfalt und Eigenständigkeit soll dabei herauskommen (dann müsste man "Pädagogik" als Unterstützung definieren), sondern BEREITSCHAFT: Bereitschaft zu arbeiten, Aufgaben zu erfüllen, ("tut, was gesagt wird!"), herausbekommen, was der Lehrer hören will. Nicht fragen "Warum", sondern ausführen, was von anderer Stelle ausgedacht, erwartet usw. wird. Also sich einem fremden Normensystem zu unterwerfen und munter und fröhlich und ohne Arbeitsstörungen daran mitwirken. Auch z.B. etwas für sein Eltern erledigen. (Rolle: Sohn, Tochter)
Wichtig wäre noch zu betonen, dass die Rollentheorie gegenüber alten personalen Herrschaftsverhältnissen durchaus emanzipatorische Anteile hat. (Sie stammt nicht umsonst aus der "neuen Welt")
Sie legt den Menschen nicht von vornherein auf eine ganz bestimmte Lebensführung fest, geht logisch von der Gleichheit und Freiheit der Menschen aus, gesteht ihm auch interpersonale Konflikte und psychische Widersprüche zu.
Kritik am besten von der Kontrollgesellschaft (Foucault) aus: Verinnerlichung gesellschaftlicher Normen, Übernahme der Kontrolle in die eigene Person .
Unklar und unerklärbar bleibt der emanzipatorische Einfluss der Menschen auf die Gesellschaft: der rebellische Rest, das "selbstbeauftragte Gestalten von Gesellschaft". Kann dieses nicht erklären oder nur durch absurde oder tautologische Konstruktionen: die Rolle des Rollenlosen, Revolutionärs usw.
|